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Die Lebensqualität verbessern

Im Gespräch: Prof. Dr. Stephan Schubert, Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler. 
Gemeinsam mit Prof. Univ. Dr. Eugen Sandica leitet er das Zentrum für Angeborene Herzfehler und Kinderherzzentrum am HDZ NRW, Bad Oeynhausen.

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Welche Patienten werden bei Ihnen behandelt?

Wir behandeln Patientinnen und Patienten mit angeborenen Herzfehlern praktisch lebenslang – mittels einer Pränataldiagnostik mitunter schon vor der Geburt – bis ins hohe Alter. Wir überprüfen bereits im Mutterleib, ob ein Herzfehler beim Ungeborenen vorliegt und klären auch ab, ob die mit einem Herzfehler lebende Mutter eine Geburt auf natürlichem Weg überstehen kann. In vielen Fällen muss die Entbindung dann hier im HDZ stattfinden, damit der beim neugeborenen Kind und/oder der Mutter festgestellte Herzfehler während und nach der Geburt optimal versorgt werden kann. Nach aktuellen Zahlen handelt es sich bei nahezu 50 Prozent unserer Patienten um neugeborene Säuglinge.   

Prof. Dr. Stephan Schubert ist Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler.

Arbeitet die Klinik dafür mit einem großen Netzwerk von  Geburtskliniken zusammen?

Ja. Wir werden sehr häufig von regionalen und auch überregionalen Kliniken vor der Geburt um eine medizinische Expertise zur Abklärung oder danach um Hilfe in Problemfällen gebeten, bei denen es dem Kind oder der Mutter nach der Entbindung nicht gut geht. Wenn die Patienten rechtzeitig zu uns kommen, können wir ihnen in der Regel sehr gut helfen.

Sind die meisten Eingriffe planbar?

Ja, wobei die Versorgung in der wachgeburtlichen Phase nicht planbar ist. Wenn Mutter und Kind schon vorab bei uns waren, wissen wir aber meistens, was bei der Geburt auf uns zukommt und können uns entsprechend vorbereiten. Gut planbar sind mit Ausnahme von akuten Notfällen nahezu alle Eingriffe, bei denen bekannt ist, unter welchem Herzfehler der Patient leidet.  

Verläuft die Geburt anders, wenn ein Herzfehler beim Säugling oder der Mutter vorliegt?

Für Mütter mit einem schweren Herzfehler ist schon die Schwangerschaft eine besondere Belastung. Die Patientin muss dann vor der Geburt engmaschig überwacht werden, was zumeist ambulant erfolgt. Bei einem guten Verlauf ist dann eine spontane Entbindung auf natürlichem Weg möglich. Das Gleiche gilt meistens auch für ungeborene Kinder mit einem Herzfehler. Eine Entbindung per Kaiserschnitt ist bei diesen kleinen Patienten eine absolute Ausnahme. Bei Schwangeren hängt es von der Art und dem Ausmaß des Herzfehlers ab, ob der Frau eine Entbindung auf natürlichem Weg zuzumuten ist. Der Kaiserschnitt kann zum Beispiel bei Frauen mit einem Aortenklappenfehler der sicherere und schonendere Weg sein.

 

Werden Säuglinge mit einem angeborenen Herzfehler mitunter schon kurz nach der Entbindung operiert?

Das gehört für unsere Klinik zum normalen Alltag. Insbesondere seltene und schwere Herzfehler müssen oft schon sehr frühzeitig behandelt werden. Wir bekommen täglich entsprechende Anfragen von Kliniken aus der Region und darüber hinaus. Wenn nötig, bekommen die Kinder schon innerhalb der ersten Lebenswochen die jeweils nötige Therapie – je nach Herzfehler entweder durch die minimal-invasive Einbringung eines Katheters oder mit einer Operation.

 Was bedeutet das für die Eltern?

Die für die Zeit der Diagnostik, des Eingriffs und der Stabilisierung oft für einige Tage erforderliche Trennung von ihrem Kind ist für die Mutter zumeist eine schmerzliche Erfahrung. Wir bemühen uns stets, dass Mutter und Kind unter medizinischer Kontrolle so schnell wie irgend möglich wieder zusammengeführt werden. Das entspricht auch unserer Auffassung für eine zugleich sichere und familienorientierte Behandlung auf medizinisch höchstem Niveau. Die Eltern werden grundsätzlich eng in den Behandlungsprozess eingebunden und können nach einer OP wieder bei ihrem Kind sein, sobald es aus medizinischer Sicht vertretbar ist. Im weiteren Verlauf der stationären Behandlung ermuntern wir die Eltern, das Kind mit einem weitgehend gemeinsam gestalteten Aufenthalt zu begleiten.

Man findet hier eine Glücksgasse und einen Lachweg. Ist es in der 
Kinderkardiologie besonders wichtig, viel Herz zu zeigen?

Anders geht es doch gar nicht. Für mich gibt es kaum etwas Schöneres, als wenn es dem Kind nach einer erfolgreichen OP deutlich besser geht. Wir sind in erster Linie Kinderärzte, bei denen neben dem medizinischen Know-how auch die Empathie, das Mitgefühl und der angemessene Umgang mit Emotionen eine besonders große Rolle spielen. Wir möchten das hier vermitteln und tun eine Menge dafür, um den Aufenthalt auf der Station so angenehm wie möglich für die Kinder zu gestalten. Wir haben zum Beispiel für ältere Kinder ein Spielzimmer mit Spielkonsolen eingerichtet. Darüber hinaus gibt es bei uns Angebote zu Musik- und Maltherapie oder mit ehrenamtlicher Unterstützung wird aus Kinderbüchern vorgelesen, wenn die Eltern einmal keine Zeit haben. Um den jungen Patienten und ihren Eltern die Angst zu nehmen, bieten wir nicht zuletzt auch die Unterstützung durch einen Psychologen an.    

Kommen auch ältere Patienten zu Ihnen? 

Natürlich. Ein angeborener Herzfehler kann sich auch im Jugend- und Erwachsenenalter erstmals bemerkbar machen und diagnostiziert werden. Auch das sind dann Patienten, um die wir uns kümmern.

Hat sich die Therapie angeborener Herzfehler deutlich  weiterentwickelt?

Ja. Die Behandlungsqualität komplexer angeborener Herzfehler hat sich in den letzten 15 Jahren insgesamt deutlich verbessert. Wir verfügen in der Herzmedizin heute über optimierte Verfahren und Instrumente sowie über immer besser wirksame Medikamente und Medizinprodukte. Das Problem ist dabei, dass viele Verbesserungen in erster Linie für erwachsene Patienten entwickelt wurden und für Kinder oft nur begrenzt einsetzbar sind. Zum Beispiel gibt es für Erwachsene inzwischen verschiedenste Herzunterstützungssysteme. Für Kinder steht uns nur ein einziges zur Verfügung, das auch nicht wirklich nutzerfreundlich ist. Das reicht zwar zur Lebensrettung aus, sollte aber nicht so bleiben. Dessen ungeachtet sorgen die Fortschritte in der medizinischen Entwicklung insgesamt dafür, dass Menschen mit einem angeborenen Herzfehler heute in vielen Fällen eine deutlich längere Lebenserwartung mit einer besseren Lebensqualität haben. Allerdings bleibt es dabei, dass die Natur leider auch Herzfehler hervorbringt, die sich selbst mit den modernsten medizinischen Verfahren nicht oder nur für eine gewisse Zeit beheben lassen. Das gilt zum Beispiel für Zweikammer-Patienten, die auch heute noch früher oder später sichere Kandidaten für eine Herztransplantation bleiben.

Was wird nach Ihrer Einschätzung in zehn Jahren zusätzlich  möglich sein?

Erstens hoffe ich, dass man dann natürliche Herzklappen herstellen kann. Zweitens, dass dann die Entwicklung resorbierbarer Implantate abgeschlossen ist und drittens würde ich mir wünschen, dass wir auch im Bereich der präventiven Medizin deutlich vorankommen. Das bedeutet, dass wir Herzfehler künftig nicht nur frühzeitig noch besser erkennen, sondern auch verstehen lernen, diese durch rechtzeitige und wirksame Interventionen etwa mit Hilfe von Medikamenten und neuer Erkenntnisse aus der Gentherapie zu vermeiden. Bislang kommt rund ein Prozent aller Neugeborenen mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Diese Zahl zu reduzieren, ist für die Medizin und Wissenschaft eine sehr wichtige Zukunftsaufgabe. 

Wer entscheidet, ob und wann eine Transplantation durchgeführt wird?

Dass dies nötig ist, entscheiden wir, wobei eine Transplantation immer das letzte Mittel ist, wenn alles andere nicht mehr funktioniert. Grob zusammengefasst gelten für die Behandlung angeborener Herzfehler mehrere Stufen. Zunächst werden Medikamente eingesetzt. Wenn nötig folgen dann Herzkatheter-Eingriffe und Operationen zum Einbau von Herzunterstützungssystemen. Wenn all das nichts hilft, kann als letzte Option eine Transplantation in Frage kommen.

Muss eine Transplantation rechtzeitig vorbereitet werden?

Ja, genau das machen wir hier schon sehr frühzeitig für jeden Patienten, der darauf angewiesen sein wird. Das ist auch erforderlich, weil nicht wir, sondern in einer zentralen, europaweit zuständigen Vergabezentrale entschieden wird, wer zu welchem Zeitpunkt ein gesundes Spenderherz bekommen kann. Da es bei Erwachsenen mehr davon gibt, ist bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, ein Spenderherz zu erhalten, höher als bei Kindern, für die naturgemäß deutlich weniger Spenderherzen zur Verfügung stehen. Hier kann die Wartezeit statt durchschnittlich rund sieben Monate für gelistete Erwachsene selbst in sehr dringlichen Fällen bis zu zwei Jahre und länger betragen. Zur Verdeutlichung der Problematik möchte ich hier nur eine Zahl nennen: In ganz Deutschland standen im letzten Jahr insgesamt nur 35 Kinderherzen für eine Transplantation zur Verfügung.

Warum haben Sie sich für diesen zugleich sehr schönen und  belastenden Beruf entschieden?

Für mich ist die Entscheidung dafür im Verlauf des Medizinstudiums gefallen. Das Interesse für den Bereich Kinder-Notfallrettung war bei vielen anderen Kommilitonen seinerzeit eher begrenzt. Für mich war das ein besonderer Anreiz, mich gerade hier zu engagieren. Später kam dann das Interesse an der Kinderherzmedizin hinzu. Heute kann ich sagen, dass dies für mich das optimale Fachgebiet ist. Kinder mit Herzproblemen helfen zu können, ist einfach nur eine wunderschöne Aufgabe. In der Kinderkardiologie decken wir hier alle Behandlungsoptionen ab, die vor einer OP möglich sind. Mit kathetergestützten Eingriffen können wir heute viele Probleme lösen, für die früher eine große chirurgische OP mit einer Öffnung des Brustkorbs unumgänglich war. Ein großer Vorteil für unsere Patienten im HDZ ist es, dass wir uns in der Kinderkardiologie in einem festen Herz-Team ständig mit den Chirurgen austauschen, um gemeinsam über die individuell am besten geeignete Behandlung zu entscheiden. Genau das ist in vielen anderen großen Zentren ganz anders.

Bad Oeynhausen ist weder Hamburg noch Berlin. 
Was spricht aus Ihrer Sicht für das HDZ?

Mit Blick auf unser Behandlungsspektrum sind wir ganz sicher weit vorn dabei. Ich persönlich habe mich für das HDZ entschieden, weil es ein über viele Jahre äußerst erfolgreiches Zentrum mit sehr gut funktionierenden Strukturen ist, die zugleich noch überschaubar sind. Von den Patientenzahlen und der Qualität unserer Behandlung sind wir objektiv gesehen absolut mit sehr großen Zentren wie der Berliner Charité vergleichbar oder sogar noch besser. Für den Bereich, den ich vertrete, zählen wir bundesweit zweifellos zu den Top drei aller Herzzentren in Deutschland. Die Aufgabe, hier als Chefarzt arbeiten zu können, ist für mich natürlich sehr erfüllend und reizvoll. 

Univ.-Prof. Dr. med. Stephan Schubert

Nach seinem Medizinstudium an der Martin-Luther-Universität und der Freien Universität Berlin hat Stephan Schubert seine Promotion an der Berliner Charité Universitätsmedizin 2003 erfolgreich abgeschlossen. Nach dem Einsatz in verschiedenen pädiatrischen und intensivmedizinischen Abteilungen der Charité und des Deutschen Herzzentrums Berlins (DHZB) von 2012 bis 2020 im DZZB Oberarzt der Abteilung für angeborene Herzfehler/Kinderkardiologie und Leiter des Herzkatheterlabors.  

2012 erfolgte die Habilitation an der Charité zum Thema Kinderherztransplantation. Seit dem 1. Juli 2020 ist Prof. Schubert Klinikdirektor des Zentrums für angeborene Herzfehler im HDZ NRW in Bad Oeynhausen und berufener W3 Professor an der Ruhr-Universität Bochum.  

Zu seinen multiplen Mitgliedschaften und Funktionen in verschiedenen medizinischen Arbeitsgemeinschaften und Fachgesellschaften (DGPK, AEPC, GNPI, ISHLT, Dt. Herzstiftung) zählt unter anderem auch seit 2020 der Stellvertretende Vorstandsvorsitz für das Nationale Register für angeborene Herzfehler e.V.

Prof. Schubert ist ein national und international gefragter Experte für die Kinderkardiologie mit zahlreichen Veröffentlichungen in peer review Journals und Büchern.  

Seit 2023 ist Prof. Schubert zusätzlich zu seinem Lehrauftrag an der Ruhr-Universität Bochum auch Mitglied der Medizinischen Fakultät OWL in Bielefeld.

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